Friedas Fall
Ich war im Kino. Der Film wühlte mich auf und machte wütend, richtig wütend. Gezeigt wird eine junge Frau, Schweizerin, die 1904 ihren unehelichen Sohn tötet. Der Film beruht auf Tatsachen und rekonstruiert den Skandal, der damals durch diesen Fall in St. Gallen ausgelöst wurde.
Frieda Keller wird zum Tode verurteilt und durch das Drängen vieler Menschen reicht sie im Grossen Rat (alles Manner) ein Begnadigungsgesuch ein, dem stattgegeben wurde: Lebenslange Einzelhaft, ohne Besuche, Briefe und Gespräche. Ich würde hier die Todesstrafe bevorzugen.
Im Fall gibt es nur Ungerechtigkeit und keine Gnade. Alles wird von Männern bestimmt, geführt und durchgesetzt.
Bis 1942 durfte ein verheirateter Mann nicht „nur“ seine Ehefrau vergewaltigen (Vergewaltigung in der Ehe kann erst seit 1994 als Antrags- und seit 2003 als Offizialdelikt geahndet werden), sondern unbestraft alle Frauen. Ebenso galt per Gesetz, dass sexuelle Übergriffe bei Minderjährigen nicht bestraft werden.
Frieda Keller war also mehrfach ungeschützt: Sie war 19 (minderjährig) und wurde von ihrem verheirateten Arbeitgeber vergewaltigt. Das Kind gibt sie nach der Geburt - sie wird von ihrem Vater verstossen, in eine Kinderbewahrungsanstalt. Als Näherin kann sie mit Müh und Not das Kostgeld bezahlen. Als der Bub fünf ist, muss Frieda ihn zu sich nehmen. Ihre Schwester verweigert wegen der Schande seine Aufnahme. In ihrer Verzweiflung erdrosselt Frieda ihr Kind am gleichen Tag, als sie ihn von der Kinderbewahrungsanstalt abholen musste.
Sie gesteht, kommt ins Gefängnis, und hat keine Chance. Juristisch, gesellschaftlich, kirchenmoralisch liegt alle Schuld bei ihr.
Mir schnürte es mehrmals die Kehle zu: Als Mädchen, Frau hatte man in der Gesellschaft bis vor kurzem keine Chancen. Keine. Und der ganze Mob lief hinter einem her.