Heimat suchen, Heimat finden
Ein Schreibwettbewerb für Flüchtlinge in Berlin. Die Abschlussveranstaltung mit Prämierung fand im Berliner Ensemble statt. Es war schwierig, äusserst schwierig an die Veranstaltung zu kommen. Denn draussen demonstrierten die Neonazis. Nicht wegen des Schreibwettbewerbs, sondern weil am Tag danach die Bundestagswahl stattfand. Das Gebiet rund um den Bahnhof Friedrichstrasse wurde durch die Polizei grossräumig mit all den zur Verfügung stehenden Huntertschaften, Scharfschützen, Panzerwagen und Eisenstangen abgesichert. Erst an der dritten Absperrung, nach Kontrolle meines Tickets, wurde ich durchgelassen.
Prämiert und von Schauspieler:innen gelesen wurde in drei Kategorien: Jugendliche, erwachsene Laien, Profi-Schreibende. Beeindruckend. Eine zwölfjährige Ukrainerin erzählte von ihren Tagen im Luftschutzkeller, ein minderjähriger Afghane von seinen Erinnerungen an das Familienfrühstück: Saftige Oliven, süsse Datteln. Bei den erwachsenen Laien gewann ein queerer Mann, der nach einem Praktikum bei der Berliner Schwulenberatung nicht mehr in sein Heimatland zurückreisen durfte. Homosexuelle werden dort zu 30 Jahren Haft verurteilt. Der Sonderpreis der Jury ging an ein wunderbares Gedicht.
Die Vielfältigkeit, die Sprachmächtigkeit und Dringlichkeit der vorgetragenen Texte haben mich beeindruckt. Auch die überwältigten Gesichter, denen man das dazugewonnene Selbstbewusstsein förmlich ansah, berührten mich. Über 100 Texte von in Berlin lebenden Flüchtlingen wurden eingereicht. 33 erreichten den Final. Diese können im zum Selbstkostenpreis veröffentlichten Buch "Heimat suchen, Heimat finden" nachgelesen werden (ISBN 978-3-384-52023-4). Es lohnt sich.
